Covid-19: Stresstest für das Liquiditäts- und Risikomanagement

Corona ist nicht nur in unserem Alltag angekommen, die Auswirkungen werden uns auch als Unternehmen und Treasurer treffen – Was sollten wir umgehend tun?

Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen zum Coronavirus haben sich bereits zu einer ernstzunehmenden Krise in Deutschland entwickelt, auch wenn die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft als Ganzes nur schwer abzuschätzen sind. Aktuell gibt der Leitindex täglich nach und die globalen Märkte stehen unter großem Druck, unterschiedliche Branchen vermelden Verluste und Umsatzeinbußen. In der Presse sind Auswirkungen auf Unternehmen und Branchen in Millionenhöhe zu vernehmen, einzelne bereits mit Umsatzeinbußen über der Milliarden- EUR –Grenze. Letztendlich kann auch erwartet werden, dass die Finanzwelt – und damit unsere Finanzierungsquellen/-partner – betroffen sein werden, mit vielseitigen Folgen und Risiken für uns im Treasury. Dabei entwickelt sich das Thema so dynamisch, dass die in diesem Artikel aufgeführten Themen schon Morgen wieder überholt sein können.

 

Liquidität sichern und das Treasury arbeitsfähig halten, das sind zunächst die zwei wichtigsten Aufgaben, die das Treasury in Zeiten von Covid-19 bewältigen muss.

Das durch Covid-19 verursachte Krisenszenario ist heute bereits in ersten Auswirkungen spürbar. Das herausfordernde Liquiditätsmanagement als Auswirkung von verzögerten und unterbrochenen Supply Chains steht den meisten Unternehmen noch bevor. Die Devise lautet: Sich auf potenzielle Rettungseinsätze gut vorzubereiten.

 

Sofort-Maßnahmen

Die in vielen Unternehmen bereits eingesetzte Covid-19-Taskforce als interdisziplinäre Einsatztruppe sollte auch die Treasury-Themen abdecken. Eine enge Abstimmung mit der Taskforce ist notwendig, damit die Geschäftstätigkeiten unter vollumfänglichem Mitarbeiterschutz auch in Krisenzeiten gewährleistet sind und Maßnahmen sinnvoll ineinandergreifen. Essentiell ist die Erstellung und Ausführung eines Treasury-Notfallplans. Die Business Continuity sowie die Arbeitsfähigkeit der eigenen Mitarbeiter und auch der thematisch angrenzenden Abteilungen muss sichergestellt werden. Beispiele für Sofort-Maßnahmen sind:

  • Remote-Zugriffe für Mitarbeiter sind zu gewähren, für das Szenario, dass die Belegschaft unter Quarantäne gestellt wird (nicht nur in der Zentrale, sondern auch in den lokalen Einheiten)
  • Verfügbarkeiten von System und Dienstleistern sind zu gewährleisten, sowohl intern als auch extern:
    • Ansprechpartner in der IT-Abteilung sind verfügbar und lösen Herausforderungen notfalls auch mit Workarounds. Ggf. ist hier auf einen Schichtbetrieb zurückzugreifen
    • Systemanbieter sind erreichbar und reagieren auf Support-Anfragen innerhalb kürzester Zeit
  • Mitarbeiter nutzen Laptops und nehmen diese sowie alle notwendigen technischen Hilfsmittel wie physische Token mit ins Home Office. Die Funktionsfähigkeit im Home Office sollte rechtzeitig getestet werden. Login-Informationen werden nichtsdestotrotz nicht auf Notizzetteln niedergeschrieben!
  • Vertretungsregelungen für kritische Prozesse sind zu prüfen und ggf. zu aktualisieren, z.B. für Zahlungsverkehr (einschließlich Berechtigungen), Cash Management und Finanzierung. Die Ablage wichtiger Dokumente erfolgt nicht lokal auf PCs, sondern nur noch auf Plattform-Lösungen, um Ausfällen und Datenverlust vorzubeugen.
  • Aufrechterhaltung der Resilienz gegen Cyber- und Fraud Attacken sicherstellen. Krisenzeiten bedeuten keine Pause und erlauben keine Nachlässigkeiten!

Praxisbeispiel: Eine Firma legte letzte Woche einen expliziten Home-Office-Testtag ein. Alle Mitarbeiter wurden verpflichtet von zuhause zu arbeiten und das Tagesgeschäft abzuwickeln. Funktionierten Systemzugänge, Berechtigungen oder Prozessabläufe nicht in einem angemessenen Zeitlimit, wurde dies dokumentiert und in den Folgetagen gelöst. Eine wichtige Erkenntnis, die erst nach dem Test auf dem Schirm war: natürlich muss auch die Infrastruktur im Home Office mit ausreichender Internet-Bandbreite stimmen. Bei einem 4 Personen-Haushalt muss dann das Video-Streaming der Kinder in den Geschäftszeiten notfalls ausfallen.

 

Parallel sind Liquiditätsszenarien zu durchdenken, um die Folgen für die Liquiditätsentwicklung abzuschätzen. Beispiele sind:

  • Kaskadierende Effekte im Working Capital sind zu identifizieren und mittels Szenarien zu bewerten:
    • Beschaffung: Beschaffungspreise steigen unvorhergesehen, Lieferanten fordern Anzahlungen/Vorauszahlungen, Liquiditätsengpässe führen zu überfälligen finanziellen Verpflichtungen
    • Vertrieb: Bestellungen werden storniert, Aufträge bleiben aus, Forderungen werden zu spät gezahlt, nicht in voller Höhe oder fallen ganz aus, Factoring-Programme greifen nicht mehr, Absatzfinanzierungsprogramme werden gestört
  • Kurzfristige Finanzierungsprogramme und -vehikel greifen nicht mehr bzw. sind nicht mehr wirtschaftlich vertretbar, z.B. Commercial Paper Programme und ABS-Strukturen, revolvierende Linien werden gekündigt oder benötigte Neufinanzierungen verzögern sich/werden bankenseitig gestoppt
  • Eventuell auftretende Störungen im Bankensystem sind zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass vorgehaltene Liquiditätsreserven nicht mobilisierbar sind oder auch, dass Zahlläufe nicht exekutiert werden
  • In Krisenzeiten sind auch die internen Pooling-Strukturen zu hinterfragen. Kann auf die internen Liquiditätsreserven von Tochtergesellschaften zurückgegriffen werden? Oder anders rum: Überlasse ich die eigenen finanziellen Polster meiner Muttergesellschaft? Ggf. ist die Reißleine für den Cash Pool-Ausstieg bereitzulegen
  • Ausfall von geplanten Dividenden-Cashflows aus Finanzbeteiligungen

 

Liquidität sichern

In Krisenzeiten ist der Finanzstatus der Dreh- und Angelpunkt aller Treasury-Entscheidungen. Was haben wir? Wie viel Liquidität ist kurzfristig verfügbar? Welche Liquiditätsreserven können mobilisiert und im Konzern verteilt werden? Erste Maßnahmen zur Liquiditätssicherung sind z.B.

  • Ermittlung der verfügbaren Liquidität in Form von Zahlungsmitteln und Zahlungsmitteläquivalenten sowie zugesagten Kreditlinien im Konzern
  • Welche Maßnahmen können zur kurzfristigen Freisetzung von trapped cash umgesetzt werden?
  • Welche konkreten Liquiditätsmaßnahmen stellt die Bundesregierung zur Verfügung (z.B. zinsgünstige Kredite, Bürgschaften oder Kurzarbeitergeld) und wer ist anspruchsberechtigt? Wer verantwortet die Inanspruchnahme solcher Mittel?
  • Ziehen der verfügbaren Kreditlinie und Zahlungsmittel vorhalten! In Krisenzeiten kann auf nicht vertraglich zugesicherte Kreditlinien bei Banken in der Regel nicht zurückgegriffen werden
  • Identifikation von Liquiditätsreserven bei Tochtergesellschaften und Analyse von Pooling-/Allokationsmechanismen im Konzern

 

Mit die wichtigste Frage ist die nach der Liquiditätsentwicklung. Kann von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit weiterhin ausgegangen werden? Die Etablierung einer direkten, klaren Kommunikation mit der Geschäftsführung in Sachen Liquidität hat Priorität! Hier kommen die vorab identifizierten Szenarien in Kalkulationsmodellen zur Anwendung:

  • Erstellung einer Liquiditätsplanung für Tochtergesellschaften und den Konzern für die nächsten z.B. 13 Wochen (wenn nicht schon als Regelprozess etabliert)
  • Verschiedene Szenarien für Liquiditätsentwicklung kalkulieren und die Reichweite der bestehenden Liquiditätsreserve versus Zahlungsverpflichtungen darstellen
  • Die veränderte Liquiditätsentwicklung führt auch zu geändertem Exposures aus Finanzrisiken. Als hochwahrscheinlich angesehene Umsätze brechen kurzfristig weg, Overhedging und Ineffektivitäten in der Währungs- oder Rohstoffsicherung können die Folge sein. Hedging-Volumina und Risikokennzahlen sind zu überprüfen und passende Maßnahmen zu ergreifen, um Auswirkungen auf den Cash Flow und wichtige Kennzahlen zu mindern (z.B. Financial Covenants, EBIT).
  • Finanzrisiken werden mit Szenarioanalysen quantifiziert, um über Anpassungen von Sicherungsquoten zu entscheiden

 

Financial Covenants in Finanzierungsverträgen sollten nicht zu Fallstricken werden. Gibt es darüber hinaus noch sonstige Klauseln, die sich negativ auswirken können? Maßnahmen sind:

  • Engmaschiges Monitoring von Financial-Covenants-relevanten Kennzahlen mit Planzahlen für die nächsten Wochen
  • Durchsicht der Finanzierungsverträge und Kredit-/Garantie-/Akkreditivlinien auf mögliche Material Adverse Change-Klauseln

 

Die Auswirkungen der Krise sind nicht nur bei Kunden sondern auch bei Banken, Kreditversicherungen und sonstigen finanziellen Kontrahenten zu spüren. Das entsprechende Kontrahentenausfall- und Kreditrisiko gilt es zu managen. Wie hoch ist das Exposure bei Kunden und finanziellen Kontrahenten? Wie hoch ist die Ausfallwahrscheinlichkeit? Welche Auswirkungen auf unsere Cashflow-Situation sind prognostizierbar? Verschlechtert sich die Liquiditätsversorgung des Marktes? Welche Konsequenzen schlagen sich auf Corporates durch?

  • Ermittlung des Exposures und Ausfallwahrscheinlichkeiten für operative und finanzielle Kontrahenten für den Konzern
  • Etablierung eines Limitsystems anhand von Marktdaten (z.B. Branchenkennzahlen, Rating- und CDS-Informationen) für sowohl operative als auch finanzielle Kontrahenten
  • Regelmäßiges Monitoring von Überfälligkeiten und verschärftes Mahnwesen im Collection-Prozess. Notfalls wird Vorkasse vereinbart oder sogar Lieferstopps für einzelne Kunden verhängt.
  • Szenarien durchspielen, in denen der Markt insgesamt und die eigenen finanzierenden Banken die Liquiditätsversorgung (inkl. FX) nicht gewährleisten können

 

Gegen Ende der Krise – Nachhaltige Prozesse etablieren

Sobald der akute Krisenmodus überwunden ist und mehr Ruhe einkehrt, sind die Erfahrungen aus den volatilen Zeiten zu sammeln. Sind wir auf zukünftige Krisen gut vorbereitet? Was würden wir dann anders machen? Haben wir entsprechende Pläne vorbereitet und weiß jeder was zu tun ist? Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind nicht als Einmalübung zu verstehen. Sinnvoll ist die nachhaltige Einbettung von Methoden und Prozessen im Sinne eines professionellen Business Continuity-Plans, die zu wichtigen Erkenntnissen geführt haben.

  • Dokumentation kritischer Geschäftsprozesse und Systeme und Durchführung einer Auswirkungsanalyse, um relevante Risiken und Effekte zu verstehen. Das gesamte Team sollte eingebunden sein!
  • Abhängigkeiten von einzelnen Systemen, Drittparteien, Personen oder Technologien erkennen und entsprechende Workarounds/Maßnahmen (z.B. Ersatzprozesse, Anpassung Service Level Agreements) und Kommunikationswege vorbereiten
  • Weiterentwicklung der bestehenden Notfallpläne und Verankerung der Kernpunkte in der Treasury-Richtlinie, Anpassungen der aktuellen Prozesse und Systeme einschließlich Aktualisierung von Arbeitsanweisungen
  • Regelmäßige Schulungen von Mitarbeitern, um das Wissen und die Sensibilität aufrecht zu erhalten
  • Regelmäßiges Testing von Notfallplänen und -maßnahmen

 

Sowohl in Krisenzeiten als auch in ruhigem Fahrwasser können gute Entscheidungen nur anhand von vollständigen und aktuellen Informationen getroffen werden. Die Frage ist folglich: Haben wir auf Knopfdruck alle Daten verfügbar und können wir diese flexibel auswerten? Um dies zu gewährleisten gilt es alle Treasury-Positionen, -transaktionen und Exposure-Werte in digitaler Form vorzuhalten, und zwar konzernweit.

  • Treasury-Ist- und Plandaten liegen in Datenbanken vor, Reporting auf Konzernebene ist über ein Datenmodell flexibel und automatisiert
  • Relevante Informationen aus (Bank-)Verträgen sind digitalisiert und stehen für die Analytik zur Verfügung

 

Aus rein technischer Perspektive sind diese letzten zwei Maßnahmen gut umsetzbar, stellen Treasury-Abteilungen jedoch oftmals vor Herausforderungen aufgrund heterogener System- und Prozesslandschaften im Konzern. Mit Blick auf diese und auch vergangene Krisen lohnt es sich jedoch Budget in die Hand zu nehmen und die Datenflüsse im Konzern einheitlich und möglichst simpel neu zu strukturieren.

 

Um in Zeiten anhaltender Unsicherheit, verändernder Geschäftsmodelle und volatilen Finanzmärkten die richtigen Antworten auf neuartige Fragestellungen zu finden, kann das Treasury durch akkurate und schnelle Entscheidungsvorlagen einen Wertbeitrag liefern. Auch vergangene Krisen haben bereits gezeigt, dass die Wahrnehmung und Bedeutung des Treasury in solchen Zeiten extrem steigen wird. Der altbewährte Grundsatz „Cash is King“ wird wieder nicht nur auf dem Flur des Treasury diskutiert werden.

 

VDT Ressort Risk Management

Unterstützt durch die Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft