VDT Ressort Risk Management

VDT fragt nach: „Was bedeutet der EMIR REFIT für uns Treasurer?“

Die EMIR-Regulierung ist für viele Treasurer ein leidiges Thema. Seit mittlerweile sieben Jahren ist die europäische Regulierung zum OTC-Derivatehandel (Nr. 648/2012) in Kraft. Im Rahmen des „Regulatory Fitness and Performance“-Programms wurde die Verordnung überarbeitet. Im Mai 2019 wurde die EMIR REFIT-Verordnung (Nr. 834/2019) erlassen und ist am 17. Juni 2019 in Kraft getreten.

Der Verband Deutscher Treasurer e.V. hat in diesem Zuge mit Sven Walterscheidt, Direktor bei PwC (Corporate Treasury Solutions), über die Neuerungen und die daraus entstehenden Folgen für die Treasurer gesprochen.

 

Herr Walterscheidt, die Überarbeitung der EMIR REFIT hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Letztendlich ist diese sehr überraschend für alle Marktteilnehmer erlassen worden. Was hat sich gegenüber der alten EMIR-Verordnung geändert?

Die EMIR-Verordnung ist in sogenannte drei Säulen aufgebaut: Clearing, Risikominderungstechniken und Meldung an ein Transaktionsregister. Im Bereich der Risikominderungstechniken gab es keine für Industrieunternehmen relevanten Änderungen, zumindest unter der Annahme, dass diese als NFC- (nichtfinanzielle Gegenparteien unterhalb der Clearing-SchwellenwertClearing-Schwellenwerte) einzustufen sind. (Anmerkung: Im weiteren Verlauf wird davon ausgegangen, dass Industrieunternehmen NFC- sind). Allerdings gab es weitreichende Veränderungen im Bereich Clearing und Meldung an Transaktionsregister.

 

Können Sie uns bitte diese Veränderungen im Bereich Clearing genauer erläutern?

Die EMIR REFIT-Verordnung sieht eine Änderung der Berechnung der Auslastung des Clearing-Schwellenwerts vor. Zunächst werden die Monatsendpositionen je OTC-Derivatklasse der vergangenen zwölf Monate für jedes Konzernunternehmen ermittelt. Danach werden diese Monatsendpositionen auf Gruppenebene zusammengefasst und durch zwölf geteilt.

 

Gibt es an dieser Stelle Übergangsvorschriften?

In Bezug auf die Berechnung leider nicht. Die der EMIR-Verordnung unterliegenden Industrieunternehmen müssen schnellstmöglich eine Anpassung der Berechnung vornehmen, denn bereits am Tag des Inkrafttretens der EMIR REFIT-Verordnung wäre auf das neue Verfahren umzustellen gewesen. In die Berechnung sind die Monatsendpositionen von Juni 2018 bis Mai 2019 einzubeziehen.

 

Muss bei der Erstellung noch etwas beachtet werden?

Ja, es ist wichtig, dass per 17. Juni 2019 eine Dokumentation der Berechnung sowie aller notwendigen Hedging-Nachweise vorliegen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, denn ansonsten liegt keine Ausnahme von der Clearing-Pflicht vor. An der Form der Hedging-Nachweise hat sich nichts geändert.

 

Was passiert, wenn ein Industrieunternehmen diese Berechnung nicht erstellt?

An dieser Stelle ist die EMIR REFIT-Verordnung sehr streng. Sollte keine Berechnung zur Clearing-Schwellwertüberprüfung per 17. Juni 2019 durchgeführt worden sein, so bestünde grundsätzlich eine Clearing-Pflicht bzw. in bestimmten Fällen eine bilaterale Besicherungspflicht. Dies hätte zur Folge, dass die national zuständigen Aufsichtsbehörden (wie z.B. die BaFin) und die ESMA hätten informiert werden müssen. Zusätzlich müsste das clearing-pflichtige Industrieunternehmen innerhalb einer Frist von vier Monaten eine Clearing-Vereinbarung mit einer CCP (Central Counterparty Clearing House) abschließen. Es würde dann ein täglicher Ausgleich der Wertschwankungen der OTC-Derivate mit einem Clearing-Hhaus bzw. einem Clearing Broker stattfinden müssen.

 

Besteht die Möglichkeit, dass ein Industrieunternehmen den Tag der Clearing-Schwellenwertberechnung beispielsweise auf den 31. Dezember verlegen kann?

Leider nein. Die EMIR REFIT-Verordnung sieht keine diskretionäre Umstellung auf einen anderen Stichtag vor. Die Folgeberechnung muss auch zukünftig am 17. Juni erfolgen. Sollte ein Industrieunternehmen zwischenzeitlich den Status von NFC- auf NFC+ (nichtfinanzielle Gegenpartei oberhalb der Clearing-Schwellenwerte) und anschließend wieder auf NFC- gewechselt haben, so ist in der Folge auf den Stichtag des Wechsels auf NFC- abzustellen.

 

Bestehen weitere Anpassungen im Bereich Clearing?

Ja, sollte ein Industrieunternehmen clearing-pflichtig geworden sein, wird das Clearing bzw. die bilaterale Besicherung nur noch in der oder den Derivateklassen durchgeführt, in denen das Industrieunternehmen die Schwelle überschreitet.

 

Wurden im Zuge der EMIR REFIT-Verordnung die Schwellwerte geändert?

Nein, die Schwellwerte wurden nicht geändert. Die Grenze liegt weiterhin bei OTC-Rohstoff, OTC-Währungs- und OTC-Zinsderivaten bei 3 Milliarden € Bruttonominalwert sowie bei OTC-Aktien- und OTC-Kreditderivaten bei einer Milliarde € Bruttonominalwert.

 

Abschließend ist festzustellen, dass im Bereich Clearing bedeutende Änderungen für die Treasurer vorliegen. Da im Bereich Risikominderungstechniken keine Anpassungen vorgenommen worden sind, möchte ich mit Ihnen über die dritte Säule „Meldung an ein Transaktionsregister“ sprechen. Welche Änderungen gab es hier für Industrieunternehmen?

Im Bereich Meldung liegen weitreichende Änderungen vor. Diese lassen sich in drei Bereiche aufteilen: Backloading, Meldung von gruppeninternen OTC-Derivaten und Meldung von gruppenexternen OTC-Derivaten.

 

Ok, dann beginnen wir mit dem Backloading.

Klären wir erstmal den Begriff. Es handelt sich dabei um die Pflicht, Derivate, die vor dem 16. August 2012 ausstanden bzw. die am oder nach dem 16. August 2012 abgeschlossen wurden, aber bei Meldebeginn am 12. Februar 2014 nicht mehr ausstanden, rückwirkend an ein Transaktionsregister zu melden.

 

Worin liegt die Änderung aus der EMIR REFIT?

Es gab eine Pflicht die betreffenden OTC-Derivate bis zum 12. Februar 2019 an ein anerkanntes Transaktionsregister nachzumelden. Dies hat bei den betroffenen Industrieunternehmen zu einem hohen Aufwand geführt und letztlich wurde seitens des Regulators festgestellt, dass die Qualität der gemeldeten Datensätze nicht der entsprach, welche gefordert war. Dementsprechend wurde die Pflicht zur Nachmeldung (Backloading) aufgehoben.

 

Was passiert, wenn ein Industrieunternehmen die Pflicht des Backloadings bis zum 12. Februar 2019 nicht nachgegangen ist?

Unter der Annahme, dass das betreffende Industrieunternehmen kein Backloading durchgeführt hat, führt dies zu keinem Mangel oder schwerwiegendem Verstoß im Rahmen der EMIR-Pflichtprüfung.

 

Damit ist das Thema Backloading abgeschlossen. Gehen wir über zu dem Thema Meldung von gruppeninternen OTC-Derivaten. Gemäß EMIR REFIT-Verordnung, was müssen die Treasurer an dieser Stelle beachten?

Zunächst einmal gibt es hier eine weitreichende Änderung, denn unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Meldung von gruppeninternen OTC-Derivaten eingestellt werden.

 

Welche Voraussetzungen müssen die Industrieunternehmen erfüllen?

Die Befreiung der Meldung besteht, wenn folgende Kriterien kumulativ erfüllt werden:

  • Vollkonsolidierung der beiden Gegenparteien,
  • Geeignetes zentrales Risikobewertungs-, -mess- und -kontrollverfahren bei beiden Gegenparteien vorhanden,
  • Mutterunternehmen ist keine finanzielle Gegenpartei.

In Bezug auf die Voraussetzungen eins und drei besteht Klarheit. Im Gegensatz dazu ist Punkt zwei noch auszulegen. In der EMIR REFIT-Verordnung sowie den aktuellen ESMA „Questions and Answers“ wurde darauf bisher noch nicht eingegangen.

 

Unter der Annahme, dass ein Industrieunternehmen alle Voraussetzungen erfüllt, was für Schritte muss der Treasurer einleiten?

Wenn alle drei Kriterien erfüllt sind und die Befreiung in Anspruch genommen werden soll, muss die BaFin bzw. andere nationale Aufsichtsbehörden darüber benachrichtigt werden.

Die Benachrichtigung gegenüber der BaFin kann per E-Mail an  A9EMIR@bafin.de  erfolgen.

Es liegen drei verschiedene Arten von Benachrichtigungen vor:

  • Typ 1: Benachrichtigung des Mutterunternehmens für alle der Gruppe angehörigen deutschen Gegenparteien
  • Typ 2: Ergänzende Benachrichtigung des Mutterunternehmens für weitere der Gruppe angehörigen deutschen Gegenparteien (mit Bezugnahme auf erfolgte Benachrichtigung Typ1)
  • Typ 3: Benachrichtigung einer deutschen Gegenpartei

Bei Typ eins und zwei müssen Angaben zu dem Mutterunternehmen (selbst Gegenpartei? Sitz, Firma, Anschrift sowie LEI), Erläuterung zu den Voraussetzungen der Befreiung und ggf. Angabe, welche weiteren zuständigen Behörden benachrichtigt wurden bzw. werden, gemacht werden. Zusätzlich wird eine Auflistung der der Gruppe angehörigen deutschen Gegenparteien (Firma und LEI), welche befreit werden sollen, in Form einer Excel-Datei übermittelt. Bei Typ 3 sind Angaben zur Gegenpartei (Firma, Anschrift, LEI), zum Mutterunternehmen (selbst Gegenpartei? Sitz, Firma, Anschrift, LEI), die Erklärung zu den Voraussetzungen der Befreiung und ggf. die Angabe, gegenüber welchen weiteren zuständigen Behörden Benachrichtigungen durch das Mutterunternehmen abgegeben wurden bzw. noch abgegeben werden, zu machen.

 

Wie läuft der Prozess nach der Mitteilung an die BaFin ab?

Die nationale Aufsichtsbehörde hat drei Monate Zeit, die Benachrichtigung zu prüfen. Erst nach Verstreichen der drei Monate kann der Treasurer die Meldung einstellen. Innerhalb dieses Zeitraums muss das Industrieunternehmen weiterhin die gruppeninternen OTC-Derivate an ein anerkanntes Transaktionsregister melden. Die Frist läuft ab dem Zeitpunkt der Absendung der Mail an die BaFin. Sollte das Industrieunternehmen innerhalb der drei Monate eine positive Rückmeldung der Behörde erhalten, so kann ab dem Zeitpunkt die Meldung eingestellt werden. Sollte die BaFin der Auffassung sein, dass die Voraussetzungen nicht von dem Industrieunternehmen erfüllt worden sind, so müssen die abgeschlossenen gruppeninternen OTC-Derivate weiterhin gemeldet werden.

 

Was passiert, wenn ein Industrieunternehmen versehentlich die Meldung der gruppeninternen OTC-Derivate bereits nach Versendung der Mitteilung an die BaFin eingestellt hat?

Bei einer strengen Auslegung der Verordnung liegt zumindest ein Fehler vor. Zu beachten ist an dieser Stelle die Auffassung der nationalen Aufsichtsbehörden. Unter der Annahme, dass diese die Erfüllung der drei Voraussetzungen anerkennt, liegt voraussichtlich kein Mangel im Rahmen der EMIR-Pflichtprüfung vor.

 

Muss noch etwas bei dem Einstellen der Meldung von gruppeninternen OTC-Derivaten beachtet werden?

Ja, der Treasurer muss für jede Tochtergesellschaft mit Sitz in der EU und mit der gruppeninterne OTC-Derivate abgeschlossen werden, eine Mitteilung an die dort zuständige nationale Aufsichtsbehörde tätigen. Folglich muss der Treasurer z.B. eine Mitteilung an die „Authorité des marchés financiers“ (Aufsicht in Frankreich) abgeben, wenn gruppeninterne OTC-Derivate mit französischen Tochtergesellschaften abgeschlossen werden. Allerdings ist zu beachten, dass die ESMA den nationalen Aufsichtsbehörden bei der Gestaltung der Mitteilung gewisse Spielräume gewährt. Es ist bekannt, dass die „Financial Conduct Authority“ (Aufsicht in Großbritannien) z.B. eine paarweise Auflistung der Konzernunternehmen verlangt, welche untereinander OTC-Derivate abschließen.

 

Die Einstellung der Meldung der gruppeninternen OTC-Derivate soll eine erhebliche Entlastung für alle Unternehmen mit sich bringen. Denn viele Treasurer, die heute Registermeldungen alleine aufgrund der gruppeninternen Derivate abbilden (und bereits die Meldung gruppenexterner Derivate an Banken delegiert haben), könnten dadurch das eigene Reporting vollständig einstellen. Leider wird wohl erst die Praxis zeigen, ob dies wirklich bei international aufgestellten Konzernen auch so wahrgenommen wird. Der Aufwand des Beantragungsprozesses in unterschiedlichen Ländern mit uneinheitlichen Vorgaben, könnte dem Ziel der Vereinfachung im Wege stehen.

Im Bereich Meldung gibt es noch (wie oben angesprochen) eine weitere Änderung. Worauf müssen Industrieunternehmen bei der Meldung von gruppenexternen OTC-Derivaten achten?

Die EMIR REFIT-Verordnung verlangt nur noch eine einseitige Meldung von OTC-Derivaten zwischen einer finanziellen Gegenpartei und einem Industrieunternehmen. Die Meldung wird dabei von der finanziellen Gegenpartei ausgeführt. Diese trägt dann auch die Verantwortung hinsichtlich der Rechtzeitigkeit, Richtigkeit und Vollständigkeit der gemeldeten Daten.

 

Ab wann gilt diese Regelung?

Die EMIR REFIT-Verordnung sieht ein Inkrafttreten dieser Regelung am 18. Juni 2020 vor.

 

Worauf können sich die Treasurer jetzt schon einstellen bzw. was muss ab dem 18. Juni 2020 alles beachtet werden?

Es wird nach Inkrafttreten der Verordnung zu einer wesentlichen Entlastung für den Treasurer beitragen, denn die Kontrollpflicht der Meldung liegt allein bei der finanziellen Gegenpartei. Das Industrieunternehmen muss nur noch die notwendigen Informationen, welche für die Meldung essentiell sind, der finanziellen Gegenpartei mitteilen. Dies betrifft insbesondere das Vorliegen eines Sicherungszusammenhangs sowie die etwaige Nutzung der Zahlungsmittelausnahme.

 

Nun haben viele unserer Mitglieder bei der Einführung der EMIR-Verordnung in Systeme investiert, welche eine automatisierte Meldung an ein Transaktionsregister senden. Ist es zu empfehlen, diese Systeme abzuschalten oder kann/sollte weiterhin eine eigene Meldung vorgenommen werden?

Nein, die Systeme müssen nicht abgestellt werden. Gemäß EMIR REFIT-Verordnung besteht ein Wahlrecht, dass die betroffenen Mitglieder weiterhin die Meldung selbst an das Transaktionsregister senden können. Dies muss der entsprechenden finanziellen Gegenpartei mitgeteilt werden. Es muss beachtet werden, dass das Industrieunternehmen dann weiterhin die gesetzliche Verantwortung über die Meldung trägt. Die Kontrollen rund um den Meldeprozess müssen bestehen bleiben und dokumentiert werden.

 

Gibt es noch weitere Änderungen hinsichtlich der Meldung?

Ja, es bestehen Änderungen hinsichtlich der Meldung, wenn eine finanzielle Gegenpartei ihren Sitz außerhalb der EU (Drittstaat) hat. In diesem Fall besitzt ein Industrieunternehmen die Meldepflicht, wenn folgende Kriterien nicht erfüllt sind:

  • Die Drittlandseinrichtung würde als finanzielle Gegenpartei gelten, wenn sie in der EU niedergelassen wäre
  • Das gesetzliche Meldesystem des Drittlandes, das für dieses Drittland gilt, würde als gleichwertiges System in der EU gelten
  • Die finanzielle Gegenpartei aus dem Drittland hat die Angaben gemäß dem gesetzlichen Meldesystem an ein lokales Transaktionsregister gemeldet

 

Worin bestehen an dieser Stelle die Probleme für den Treasurer?

Problematisch ist es, wenn der Treasurer das Meldesystem in dem Drittstaat nicht kennt und nicht weiß, ob das abgeschlossene OTC-Derivat durch die finanzielle Gegenpartei an das lokale Transaktionsregister gemeldet worden ist. Dann besteht unter Umständen wieder eine Meldepflicht seitens des Industrieunternehmens.

 

Gibt es an dieser Stelle auch eine Übergangsregelung?

Ja, die EMIR REFIT-Verordnung sieht ein Inkrafttreten dieser Regelung am 18. Juni 2020 vor.

 

Gibt es Änderungen durch die EMIR REFIT bei Abschluss eines Derivats zwischen zwei Industrieunternehmen (nichtfinanziellen Gegenparteien)?

Nein, es besteht weiterhin die beidseitige Meldepflicht. Es liegen auch keine Änderungen hinsichtlich der Delegation von Meldungen an eine nichtfinanzielle Gegenpartei bzw. dritte Person vor.

 

Abschließend ist festzustellen, dass die EMIR REFIT-Verordnung in der Gesamtheit der Änderungen zu einer erheblichen Arbeitsentlastung führen wird. Herr Walterscheidt, vielen Dank für das Gespräch.

Vielen Dank. Sollten Rückfragen bestehen, so können Sie gerne auf mich zukommen.